Früher hätten wir uns kaputt geschlagen

In der Schule hatte ich viele Probleme, weil ich kein Deutsch konnte. Als mich die anderen deswegen ausgelacht haben, habe ich die verprügelt. Ich kannte ja nichts anderes, für Sachen, die ich falsch gemacht habe, hab ich ja selber Schläge bekommen, das hab ich halt so weitergegeben. Erst, als ich an eine andere Schule gekommen bin, bin ich klargekommen. Da waren fast nur Ausländer, Türken, Kurden, Libanesen, Albaner, Russen, kaum Deutsche – und die wenigen Deutschen waren fast wie die Ausländer, Schläger halt.

Jugendlicher mit Kapuze von der Seite fotografiert
© Violence Prevention Network/Klages

Vieles baut man sich da selber, zusammen mit Freunden, solche Gedanken über Stolz und Ehre. Man fühlt sich wohl mit denen, ist als Gruppe unterwegs und will dazugehören. Man hat ja sonst niemanden. Quasi wie Familie. Um die nicht zu verlieren, machst du vieles. Wenn die Mist bauen, baust du mit. Wenn die schlagen, schlägst du mit. Gehen die klauen, geh ich mit. Willst ja nicht ausgegrenzt werden. Mit der Zeit bleibt man halt irgendwie hängen, an diesen Gedanken, an diesen Aggressionen, an diesem Umgang mit Menschen. Wir haben das alles mit der Religion gerechtfertigt. Wir hatten keine Ahnung. Die Familie kann da nichts machen. Mein Vater war mehr mit anderen Sachen beschäftigt und meine Mutter – was hätte die denn machen sollen? Und so bin ich groß geworden.

Wäre ich zu dem Zeitpunkt in eine falsche Situation geraten, in der das aus dem Ruder läuft, komplett eskaliert, dann hätte ich auf jeden Fall falsch gehandelt. Und zwar sehr falsch gehandelt. Ich meine, ein Mord aus Ehre oder so. Dann hätte ich auch mein Leben, das Leben meiner Familie zerstört. Komplett zerstört. Irgendwie bin ich aber trotzdem im Knast gelandet. Ich habe 27 Monate bekommen und wo ich dann hier drinnen war, war bei mir Stopp. Da hab‘ ich dann überlegt, welchen Weg gehst du? Und dann bin ich den Weg gegangen, den ich heute noch gehe. Ich hab‘ dann Thomas* und Willi* kennengelernt. Und hab‘ auch diesen Kurs mitgemacht. Und ich bin in den offenen Vollzug gekommen. Vom offenen Vollzug wurde ich dann entlassen. Natürlich, ich kann nicht sagen, ich bin topp, ich bin 100%ig geheilt, nein, aber ich kann das kontrollieren. Beispiel: Letztens hab‘ ich das gehabt. Jemand guckte mich schief an, ich hab‘ geguckt. Ich habe überlegt und er fragt, warum guckst du so? Sag ich, „ich kenne dich“. „Ich kenne dich nicht“, sagt er und ist weitergegangen. Weißt du, was ich meine? Ich kann das kontrollieren. Ich gehe nicht auf ihn ein. Ich sag‘ was ganz anderes, wo er gar nicht mit rechnet. Vor ein paar Jahren oder bevor ich ins Gefängnis kam, da hätten wir uns kaputt geschlagen. „Warum guckst du? – Warum guckst du?“ und schon geht das los. Und immer mit der Begründung, das steht doch im Koran so. Heute kann ich das kontrollieren. Ich überlege, ich denke nach. Bevor ich etwas mache, denke ich nach. Ich hab‘ schon gewusst, in der Situation, wenn ich noch ein falsches Wort sage, dann passiert was. Was ich dann gemacht hätte? Ehrlich gesagt? Ich gehe. Und wenn ich in einen Laden reingehe und mir Hilfe hole.

* Violence Prevention Network Trainer