Vom Neonazi zum Co-Trainer

Mir fehlte ein Vorbild

René hat einen Menschen krankenhausreif geschlagen. Einen, den sie in seiner Clique Penner nannten. In seiner Clique hieß es, so ein Leben wäre nichts wert. Deshalb durfte man diesen Menschen auch zusammenschlagen. „Früher war er so ein lieber Junge“, sagt Renés Mutter. Sie hat sich von seinem Vater scheiden lassen, da war René zehn. In einem kleinen Ort bei Brandenburg hat sie René und seinen Bruder allein groß gezogen. „Ich war nie für ihn da“, sagt der Vater. Wenn René mit seinen Kumpels vorbeikam, war der Vater meistens betrunken. Die Eltern haben viel gearbeitet, gesprochen wurde wenig.

Mann schaut nachdenklich in die Ferne
© photocase.com/vortritt

Doch warum wird ein Mensch zum Schläger? „Für mich war Gewalt normal“, sagt René. „Mir fehlten der Halt und ein Vorbild, an dem ich mich hätte orientieren können. Die Clique war meine Familie. Nazi sein war unsere Rechtfertigung für die Schlägereien.“ Im Gefängnis bekommt René die Möglichkeit, an einem Training im Rahmen des Programms „Verantwortung übernehmen – Abschied von Hass und Gewalt“ teilzunehmen. Er erkennt, dass das seine einzige Chance ist, aus seinem bisherigen Leben auszusteigen. Nach der Entlassung wird er von einem Trainer gecoacht. René und sein Trainer vereinbaren Ziele: Keine Straftaten, keine Gewalt, Abstand zur Szene. René macht den LKW-Führerschein und wird Co-Trainer in einem Projekt für gewaltbereite Jugendliche mit Migrationshintergrund.

Das Unvorstellbare wird Realität: Ein ehemaliger Neonazi erklärt gewalttätigen, muslimischen Jugendlichen, warum es keinen Sinn hat, Konflikte mit Gewalt zu lösen. Die Jugendlichen erkennen ihn an und sehen in ihm ein Vorbild. In Diskussionen mit den Jugendlichen nimmt René eine moderierende Position ein und hinterfragt ihre politische Einstellung.

Parallel gelingt es René, eine Anstellung als LKW-Fahrer zu bekommen. Trotz Vorstrafe. Der Arbeitgeber nutzt René aus, zwingt ihn, länger zu fahren als erlaubt und gegen geltendes Arbeitsrecht zu verstoßen. Schließlich wird René entlassen, der letzte Lohn wird einbehalten. René nimmt sich einen Anwalt und setzt sich, unterstützt durch seinen Trainer, gerichtlich gegen den Arbeitgeber durch. Er hat die erste Krise seines neuen Lebens gemeistert, indem er die zuvor erlernten gewaltfreien Strategien zur Konfliktlösung angewendet und sich mit rechtsstaatlichen Mitteln gegen widerfahrenes Unrecht gewehrt hat.

Nach der Entlassung lebt René mit der Freundin beim Vater. „René ist viel ruhiger geworden“, sagt der Vater. René und seine Freundin bekommen ein Kind, doch in Brandenburg Arbeit zu finden ist schwierig. Seit 2007 arbeitet René in der Schweiz

Die Geschichte von René Noeppke ist wahr. Nur sein Name wurde geändert.