Maßnahmen und Zielgruppen

Primär- und Sekundärprävention

In einer Gesellschaft, in der Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder Religionszugehörigkeit Angriffen ausgesetzt sind und die Deutungshoheit darüber, wer dazugehört und wer nicht, immer massiver in der Öffentlichkeit ausgetragen wird, in der Halbwissen, religiöser Analphabetismus und Vorurteile Schulen beherrschen und Mitarbeiter*innen in Behörden und ehrenamtlichen Institutionen von diesen Entwicklungen überfordert sind, braucht es Angebote, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt befördern, statt die weitere Spaltung voranzutreiben. Wirkungsvolle Präventionsangebote ermöglichen neue Sichtweisen, regen zur Auseinandersetzung an und erzeugen die Bereitschaft, sich als Teil einer Gesellschaft zu verstehen, die unterschiedliche Sichtweisen, Lebens- und Glaubensmodelle gleichberechtigt gelten lässt.

Zielgruppe a) Aus diesem Grund bieten die mobilen Präventionsteams von Violence Prevention Network prozessorientierte Workshops an Schulen an, um die Schüler*innen gegen Rekrutierungsbemühungen aus der extremistischen Szene resilient zu machen – derzeit zu den Themenclustern interreligiöse Kompetenz, Islam, Demokratie und Menschenrechte, Nahost-Konflikt, Aufklärung über und Umgang mit Islamistischem Extremismus, Rechtsextremismus, Identität, Fake News, Verschwörungsideologien, Antisemitismus, Antifeminismus und Gender. Ziel ist die Aufklärung über Extremismus und Rekrutierungsstrategien sowie die Erarbeitung von Handlungsoptionen für Jugendliche bei Anzeichen einer Radikalisierung. Anlassbezogene Workshops dienen auch dazu, einen Zugang zu (vermeintlich) radikalisierten Jugendlichen zu finden, ohne sie zu stigmatisieren. Bei Feststellung einer Radikalisierung kann die Arbeit dann ggf. in eine Einzelbetreuung überführt werden.

Zielgruppe b) Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf dem Angebot vollzugsspezifischer Präventions-Workshops für Inhaftierte, die sich der besonderen Herausforderung extremistischer Rekrutierung und potenzieller Radikalisierung im Justizvollzug stellen. Thematisiert werden hier insbesondere die Rolle von Identität, Herkunft, Kultur, Religion und Weltanschauung, der Nahost-Konflikt, Geschlechterrollen, Medienkompetenz, das Leben in einer pluralistischen Gesellschaft, das Spannungsfeld zwischen Traditionalismus und Religion, Toleranz gegenüber Andersdenkenden, Demokratieverständnis u. a.

 

Fortbildungen

In der Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen kann es immer wieder zu Situationen kommen, in denen man mit extremistischen bzw. fundamentalistischen Einstellungen und Verhaltensweisen konfrontiert wird. Dabei ist es meist schwierig, angemessen darauf zu reagieren. Häufig fühlen sich die verantwortlichen Fachkräfte in der konkreten Situation überfordert und sind unsicher im eigenen Rollenverständnis.

Zielgruppe a) Violence Prevention Network bietet praxisorientierte Fortbildungen für Lehrer*innen, Mitarbeiter*innen der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Polizei und anderer Organisationen, die in ihrem Berufsalltag immer wieder mit Radikalisierungsprozessen junger Menschen konfrontiert werden. Dabei geht es bspw. um diese Fragen: Wie erkenne ich frühzeitig extremistische Argumentationsweisen und lerne, diese zu entkräften und aufzulösen? Welche Strategien kann ich anwenden, um eine vertrauensvolle Beziehung zu radikalisierungsgefährdeten jungen Menschen in meiner Klasse oder in meiner täglichen Arbeit aufzubauen? Der Schwerpunkt wird auf praxisrelevante pädagogische Denk- und Verhaltensweisen gelegt. Ausgangspunkte sind vor allem die Erfahrungen der Teilnehmer*innen in ihren Berufsfeldern. Die unmittelbare Begegnung mit den jungen Menschen ist zwar alltäglich, nicht immer aber der bewusste Dialog oder die gezielte Kommunikation bezüglich sensibler Themen. Hierzu sollen neue Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Mit den Fortbildungen wird ein weiterentwickeltes Verständnis für die eigene Berufsrolle angestrebt, das einen Dialog mit Jugendlichen, die extremistische Denkmuster aufzeigen, ermöglicht.

Zielgruppe b) Darüber hinaus bieten wir Fortbildungen für Fachkräfte und Multiplikator*innen im Strafvollzug und in der Bewährungshilfe an, die mit bereits straffällig gewordenen jungen Menschen, die radikalisierungsgefährdet sind oder sich in Radikalisierungsprozessen befinden, arbeiten. Diese finden in Justizvollzugs- und Jugendstrafanstalten, Dienststellen des ambulanten Justizsozialdiensts und weiteren Anlaufstellen im gesamten Bundesgebiet statt. Die modulartig aufgebauten Fortbildungen dienen der Stärkung der Verhaltenssicherheit und der Kompetenzerweiterung im Umgang mit vorurteilsgeleiteten/ideologisierten Menschen. Themenschwerpunkte sind: Vorurteile und Feindbilder, Radikalisierungsverläufe junger Inhaftierter, Umgang mit radikalisierten Inhaftierten, Interkulturelle Sensibilisierung, Austausch über die eigene Praxis und den Umgang mit (vermeintlich) extremistischen Klient*innen, Erkennungsmerkmale von Radikalisierungsprozessen respektive Ansätze zu deren Unterbrechung, Radikalisierungsverläufe und -ursachen, Handlungsstrategien im Umgang mit Islamistischem Extremismus, Anspracheübungen sowie Herstellung und Aufrechterhaltung des Dialogs mit der gefährdeten Zielgruppe, Aktuelle Ausprägungen des Rechtsextremismus, Verschwörungsideologien, Reichsbürger*innen.

 

Spezielle Zielgruppe: Mädchen und junge Frauen

Radikalisierungsprozesse verlaufen auch bei Mädchen und jungen Frauen sehr unterschiedlich. Sie reichen von einer Affinität zu extremistischen Ideologien und/oder Szenen über die aktive Gestaltung extremistischer Gruppen bis hin zur Beteiligung an politisch oder religiös motivierten (Gewalt-)Straftaten. Violence Prevention Network bietet gendersensible Maßnahmen an, um speziell Mädchen und junge Frauen mit passgenauen Angeboten zu erreichen. Diese zielen darauf ab, Radikalisierungsprozesse von Mädchen und jungen Frauen möglichst früh zu erkennen, um Distanzierungs- und Ausstiegsprozesse zu begleiten. Hauptzielgruppe sind Mädchen und (junge) Frauen im Alter zwischen 12 und 27 Jahren, die diskriminierende, menschenverachtende und demokratiefeindliche Denk- und Verhaltensweisen zeigen und/oder sich extremistischen Szenen zuwenden. Das erreichen wir durch Distanzierungs- und Ausstiegsbegleitung für Mädchen und junge Frauen, Angehörigen- und Umfeldberatung, praxisorientierte Fortbildungen für pädagogisches Fachpersonal und interdisziplinäre Vernetzung.

 

Justizvollzug/Intervention

Angesichts der nach wie vor hohen Zahlen (hoch-)radikalisierter Straftäter*innen sowie im Vollzugsverlauf drohender Radikalisierungsprozesse erfolgt im deutschen Strafvollzug seit einigen Jahren der Ausbau von Maßnahmen zur Radikalisierungsprävention und Deradikalisierung (Phänomenbereiche Rechtsextremismus und Islamistischer Extremismus). In sieben Bundesländern führen speziell ausgebildete Teams von Violence Prevention Network Anti-Gewalt- und Kompetenz-Trainings (AKT®) für Inhaftierte (Rechtsextremist*innen und Islamist*innen) durch – mit dem Ziel der Deradikalisierung und Re-Integration in die demokratische Gesellschaft nach Haftentlassung, fernab der extremistischen Szene. Des Weiteren bieten wir Einzelfallberatung, Stabilisierungscoachings, Übergangsmanagement, Fortbildungen, Workshops der politischen Bildung und psychotherapeutische Begleitmaßnahmen an. (Mehr Informationen s. o. unter Primär- und Sekundärprävention sowie Fortbildungen).

 

Beratungsstellen/Deradikalisierung

Die Beratungsstellen von Violence Prevention Network sind Anlaufstellen für Menschen mit Fragen im Themenfeld Extremismus und bieten Präventions-, Interventions- und Deradikalisierungsangebote. Die Zielgruppen reichen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die gefährdet sind, sich zu radikalisieren bis hin zu bereits stark radikalisierten Menschen und sogenannten Gefährder*innen sowie deren Umfeld. Durch aufsuchende Arbeit (bspw. aufgrund von Hinweisen aus dem sozialen Umfeld) und in den Sozialen Medien sprechen wir Menschen, die sich antidemokratischen Strukturen angeschlossen haben, demütigungsfrei an – auch diejenigen, die sich ohne Gruppenbezug radikalisieren.  Unser Ziel ist es, Radikalisierungen möglichst früh zu erkennen und einzuordnen, um mit passgenauen Maßnahmen Radikalisierungsprozesse umzukehren und eine Deradikalisierung einzuleiten. Des Weiteren schulen wir Multiplikator*innen im Rahmen von Fortbildungs- und Sensibilisierungsveranstaltungen darin, extremistische Argumentationsweisen zu erkennen und mögliche Strategien zur Auflösung dieser zu entwickeln.

 

Distanzierungs- und Ausstiegsbegleitung/Tertiärprävention

Ob sich eine extremistische Position verfestigt oder nicht, liegt nicht ausschließlich an der Überzeugungskraft einer Ideologie, sondern maßgeblich am impliziten Beziehungsangebot, das von der jeweiligen Szene ausgeht. Diese Hinwendung ist oft der Ausdruck multipler Konfliktdynamiken in der Biografie der Person und ihrem sozialen Umfeld. Die Hinwendung zu einer extremistischen Ideologie wird meist durch Personen eingeleitet, die genau eine Antwort, eine Wahrheit, ein Weltbild vermitteln. Sie bieten einfache (vermeintliche) Lösungen für komplexe Herausforderungen im Alltag der betreffenden Person und geben Antworten auf Bedürfnisse, die die Mehrheitsgesellschaft nicht bieten kann. Das betrifft die Bereiche des Rechtsextremismus sowie des Islamistischen Extremismus gleichermaßen. Insofern ist für den Distanzierungsprozess von extremistischen, menschenverachtenden Ideologien entscheidend, wem sich eine nach Orientierung suchende Person anvertraut.

Unsere Beratungsstellen in sechs Bundesländern (Baden-Württemberg, Bayern, Berlin (Beratungsstellen für beide Phänomenbereiche), Hessen, Sachsen und Thüringen) arbeiten gemäß unseres holistischen Ansatzes mit radikalisierten Menschen, die sich von extremistischen Szenen lösen möchten, und mit jenen, die noch keine intrinsische Ausstiegsmotivation formuliert haben. Dafür beziehen sie das (familiäre) Umfeld und andere (nicht-)staatliche Akteur*innen mit ein. Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Distanzierungsbegleitung ist der Aufbau einer vertrauensgeprägten Arbeitsbeziehung mit der radikalisierten Person. Abhängig von Zeitpunkt und Kontext kann die Kontaktanbahnung über eine der Beratungsstellen erfolgen, aber auch über die direkte Ansprache oder im Rahmen eines Deradikalisierungstrainings im Justizvollzug. Inhaltlich stützt sich der Prozess der Distanzierungs- und Ausstiegsbegleitung auf einen stetigen Dialog, der Erkenntnisprozesse in Gang setzt und die Fähigkeit der kritischen (Selbst-)Reflexion befördert, der aber auch die Identifikation potenzieller Gefährdungssituationen ermöglicht. Hierbei werden die Ursachen für die multiplen Konfliktdynamiken in der Biografie der Person ermittelt und Strategien entworfen, diese – fernab extremistischer Angebote – aufzulösen. Eminent wichtig in diesem Prozess ist die Einbeziehung der Eltern bzw. wichtiger Angehöriger. Etappenziel der Beratung ist es, (wieder) ins Gespräch mit dem radikalisierten Menschen zu kommen. Der typische Beratungsprozess verfolgt die schnellstmögliche Kontaktaufnahme mit den Eltern und die Entwicklung eines gemeinsamen Hilfe- und Förderplans für die Familie, um ein umfassendes Unterstützungsnetzwerk aufzubauen und die Familie langfristig zu begleiten.

Kontakt

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